" />
 

Sonntag, 10. Juni 2007

(30.09.2003)

Die Urnenbeisetzung ist eher so etwas wie eine Formalität. Während sich am Freitag zur Aussegnung noch alle Mitglieder und Freunde der Restfamilie in der kleinen, schönen Kapelle trafen, ist hier nur noch der harte Kern versammelt. Wir treffen uns am Haupteingang des Friedhofs, bestes Wetter gibt es für uns, schön. Wir stehen eine Zeit herum, warten auf die Urne mit der Oma drin. Kurz nach zwei Glockenschlägen, die der Wind von irgendeiner Kirchturmspitze in unsere Ohren trägt, kommt ein Friedhofsangestellter um die Ecke. Vor sich her trägt er die Urne, die mit einem schwarzen Samttuch bedeckt ist. Er selbst ist feierlicher gekleidet als wir alle zusammen. Schwarze Hose, Jackett, Hemd, Krawatte. Das Ursprungsschwarz seiner Schuhe jedoch ist abgestoßen und wirkt vergleichsweise schäbig. In seinem Gesicht berufsbedingte Scheinverhärmung. Erst als er merkt, daß wir gerade gescherzt haben und auch nicht vor haben damit auf zu hören, wird er lockerer.

Ein paar Minuten noch auf eventuelle Nachzügler warten, reden über Wetter, Blumen, Frost. Friedhofstalk eben. Dann beschließt er anzufangen. Meine Oma wird voran getragen. Der Friedhofsmensch hat einen speziellen Schritt in petto, mit dem er die Urne zu Grabe trägt. Eine Mischung aus unterdrücktem Gehen (der Weg zum Grab ist recht lang) und angemessenem Schreiten (man will den Angehörigen ja schließlich nicht all zu schnell loswerden). Den beherrscht er perfekt. Meine Tante und ich kichern, weil wir uns beide in dem Moment daran erinnern, wie meine Oma damals bei der Urnenbeisetzung ihres Mannes ständig dem Urnenträger in die Hacken lief, weil sie dessen arg gemessenen Schrittrhythmus nicht einhalten konnte. Außerdem hat "unserer" zwei ausgefallene graue Haare auf den Schulterpolstern seines Jacketts liegen und reichlich Schuppen auch.

Bei III/Reihe 11 biegen wir rechts ab. Dann noch mal links (genau wie vor drei Jahren versuche ich mir das einzuprägen, weiß aber, daß ich es bei der nächsten Urne wieder vergessen haben werde). Dann stehen wir vor dem Grab. Ein Loch ist schon darin, mein Sohn, der Skeptiker, untersucht es sofort. Tief genug, alles ordnungsgemäß. Auf dem Grabstein: Stefan W. (mein Onkel, 1979), dann Karl W. (mein Opa, 1990), darunter Karl-Michael W. (mein Vater, 2000). Jetzt meine Oma. Angeblich sind noch 5 Plätze frei.

Als wir uns alle platziert haben, zieht der Urnenträger eine in Folie eingeschweißte Karte aus seiner Jackentasche und klärt uns auf, weswegen wir hier sind. Dann erläutert er uns die Dramaturgie seines Vortrags ("Ich werde nun die zwei wichtigsten Daten aus dem Leben von Maria W., geborene S., lesen. Dazwischen mache ich bewusst eine Pause, damit Sie der Verstorbenen gedenken können"). Nachdem er das Geburtsdatum meiner Oma gelesen hat, fange ich an zu zählen. 21, 22, 23...und denke an den Moment, als die wunderschöne Stimme des Tenors den Raum der Aussegnungshalle bis in den letzten Winkel ausfüllte, Ave Maria, Mariiia, Mariiiiia!...28, 29, dann das Sterbedatum. Plötzlich zieht er das Samttuch zurück und die Urne kommt zum Vorschein. Um die Urne schmiegt sich ein feines Nylonnetz. Einem Einkaufsbeutel gleich hält der Mann sie am äußersten Zipfel fest und versenkt sie im Grab.
Ein Vaterunserderdubistimhimmelgeheiligtwerdedeinname. Danach dürfen wir alle noch ein paar Schaufeln Erde darauf häufeln, Asche zu Asche - Staub zu Staub, fertig. Der Mann verabschiedet sich von uns per Handschlag und lässt nicht locker, bis mein Sohn ihm die Rechte statt der Linken reicht. Jetzt kommt ein Mann in grüner Latzhose, ein Friedhofsgärtner. Er schüttet den restlichen Aushub auf die Urne und läßt sich dann gerne von uns wegschicken. Wir arrangieren den Blumenschmuck neu, das dauert eine Weile. Dann machen auch wir uns auf den Weg. Als wir ein Grab passieren, in dem die Familie "Trillhose" liegt, meint mein Onkel lakonisch: "Die waren bestimmt auch froh endlich tot zu sein, bei DEM Namen!"

(22.09.2003)

Ich betrete das Wohnzimmer, die vertrauten Möbel sehen in der neuen Umgebung völlig anders, besser aus. Hinten in der Ecke das Pflegebett, das Kopfteil erhöht. Der Raum ist erfüllt vom blubbernden Geräusch des Sauerstoffzubereiters, fast klingt es nach Aquarium, nur lauter. An dem Sauerstoffgerät angeschlossen die Frau im Bett, unterhalb der Nase ein feiner Schlauch, der den reinen Sauerstoff in die Nasenlöcher strömen läßt. Das soll das Herz entlasten, sagt der Arzt. Ich setze mich seitlich auf das Bett, es ist viel Platz, unter der Decke zeichnet sich schemenhaft der ausgemergelte Körper ab. 30, 32 kg? Das Gesicht ist leicht zur Wand gedreht, die Züge wirken angestrengt, die Augen geschlossen. Die zwei tiefen Furchen über der Nasenwurzel deuten aber an, daß hier nicht geschlafen, sondern gerungen wird. Als ich ihre Hand greife, die knochige, schöne, mit den tipptopp gefeilten Nägeln, weiß ich endgültig Bescheid. Fieberheiß ist sie, wie bei meinem Vater, damals.

Nun begrüße ich sie. Ihr Unterkiefer bewegt sich leicht, die Furchen zwischen den Augenbrauen verflachen, die Lider flattern kurz. Sie hat mich erkannt, ganz sicher. Ich fange an zu erzählen, von der Einschulung meines Sohnes und wie schlecht er seither schläft, wie er weinte und doch stolz ist, endlich ein Schulkind sein zu dürfen. Irgendwann ist mein Monolog beendet, mir fällt nichts mehr ein was ich ihr noch erzählen könnte. Wofür interessiert sich eine Sterbende? Dann betrachte ich noch lange ihr Gesicht und streichle dabei die Hand, die mich bald 39 Jahre berührte.

Dann setzen wir uns an den Tisch, meine Tante und ich, auch Carmen, die aus Rumänien geholte Pflegekraft, die für 750 Euro (inkl. Versicherung) die letzten paar Wochen meine berufstätige Tante bei der häuslichen Pflege unterstützte. Wir trinken Kaffee, lachen hin und wieder, im Hintergrund das Aquarium, meine blubbernde Oma. Später verabschiede ich mich von ihr. Wir wissen beide, daß es für immer sein wird, trotzdem kann ich nur sagen, tschüss liebe, liebe Oma, bis bald.

Das war gestern. Heute Mittag erreichte mich der Anruf, daß sie gestorben ist.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

quaddelalarm
gestern abend noch aufregung im hause weiß: das kind...
Frau Rossi - 29. Mär, 08:07
Wer mal wieder eine fette...
Wer mal wieder eine fette Demütigung braucht ordentlich...
Frau Rossi - 27. Apr, 21:37
Relativität
Seit zehn Tagen sind wir wieder zurück. Beide, der...
Frau Rossi - 16. Apr, 07:55

Suche

 

Status

Online seit 6179 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Mär, 18:40

Credits


99x ich
erregungszustände
erscheinungen, männliche
erscheinungen, weibliche
herz I-V
kindheitsdebakel
kindheitskatastrophen
kleine erfolge
malade
mann und frau
oma
schöner wohnen
übermut und fall
vater
vermischtes
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren