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Angeregt durch Frau Sopran
habe ich mich daran erinnert, wie ich früher immer wieder versuchte, mich mit dem Sporttreiben anzufreunden, jedoch jedesmal auf unterstem Niveau scheiterte. Aber es gibt ein Happy End, lest selbst:

Als Kind war ich das, was wohl die meisten Mädchen waren: eine Pferdenärrin. In unserer Nachbarschaft gab es eine Koppel, auf der weideten Ponys. Der Besitzer war froh, dass wir uns kümmerten, bedingungslos. Wir hatten quasi freie Hand und trugen unser ganzes Taschengeld zu "Reitsport Scheidt", investierten in Hufkratzer, Kardätschen, Huffett und allem, was unser Budget nicht sprengte. Das Reiten ohne Sattel brachten wir uns selbst bei und pflegten somit einen wilden, den Tieren wohl nicht immer gerecht werdenden Stil. Die wiederum rächten sich durch unberechenbare Manöver im Gelände, z. B. abrupte Richtungswechsel nach rechts oder links aus dem gestreckten Galopp heraus oder sie stoppten einfach ab, um ein paar imaginäre saftige Büschel Gras zu rupfen, während wir, den Gesetzen der Physik folgend, über ihre gesenkten Köpfe segelten. Ich erinnere mich an zahlreiche Stürze, mit und ohne Pony, ein Wunder, dass nie jemand ernsthaft Schaden nahm. Die dadurch entwickelte Geschicklichkeit kam mir später entgegen, als ich endlich in den Reitverein durfte. Vom Pferd fiel ich die ganzen Jahre jedenfalls nicht mehr, dafür haftete mir permanenter Stallgeruch an. Mit ca. 14 verlor ich, wie die meisten dieser Mädchen, plötzlich das Interesse, riss zuhause die Pferdeposter und Postkarten von meinen Wänden, fing an mich zu duschen und nach Patchouli zu riechen. Zwischen meinen Beinen jetzt der Sattel meines frisierten Mofas bzw. die Sitzbänke der frisierten Mopeds meiner Jugendfreunde. Sport, falls man Reiten überhaupt als das bezeichnen kann (Reiter behaupten das zwar, dennoch hege ich so meine Zweifel), trieb ich von nun an jedenfalls keinen mehr. Selbst zu den allerkürzesten Spaziergängen war ich nicht zu bewegen, und wenn doch, maulte ich permanent rum, sodass man mich künftig lieber zuhause ließ. Selbstverständlich bewegte ich mich nie mehr als gerade nötig, deshalb sind diese Jahre im Register unter "Statische Phase" abgelegt.

Später hatte Sport, bzw. der Sportversuch, viel mit den Freunden zu tun, mit denen ich gerade Kontakt hatte. So probierte ich es erfolglos mit Squash (Oli), Karate (beim Postsportverein), Klettern (mit Matze), Tennis (bei Kyaw Kyaw in Rangoon), Body Building (Oli), Jazz Dance (bei Mausi). Keine dieser Phasen dauerte jemals länger als ein halbes Jahr, geklettert bin ich gar nur zweimal, bis ich merkte, dass ich eigentlich nicht schwindelfrei bin (musste dann wegen Schreckstarre 5 Meter vor dem Gipfel abgeseilt werden).

Auf diese Phase der "Unsteten Suche" folgten die "Jahre der Resignation", in denen ich meine Zwangsneurosen hätschelte und litt. Ich war damals so unfit, dass mir mein Arzt während einem meiner zahlreichen EKGs ans stolpernde Herz legte, ich MÜSSE mich meiner Leistungsfähigkeit und meinem Alter entsprechend einfach mehr bewegen, sonst sehe das auf Dauer nicht gut aus. Jede 60-Jährige hätte mich damals auf dem Fahrrad wohl locker abgehängt. Muss ich eigentlich extra erwähnen, dass ich damals rauchte wie ein Schlot? Die einzige Art der Bewegung, die mir zu dieser Zeit immer und ohne Mühen gelang, war das Tanzen. Tanzen konnte ich heftig und stundenlang, ohne Pause. Ich tanzte sogar dann noch, wenn sich alle Anderen aus Erschöpfungsgründen schon längst verabschiedet hatten ("Wo nimmst du nur diese Energie her?").

Am Tag nach meinem 35. Geburtstag setzte die "Phase des Umdenkens" ein und ich hörte mit dem Rauchen auf. Von heute auf morgen, wie es immer so schön heißt. Um mir den Abschied von der Zigarette zu erleichtern, glaubte ich, mit dem Joggen anfangen zu müssen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich freiwillig wirklich gequält, weil ich dachte, das sei "gut für mich". Einige berichteten mir von drogenrauschähnlichen Hochgefühlen und Andere sprachen von Endorphinen und tranceähnlichen Zuständen beim Laufen. Soweit bin ich nie gekommen. Im Gegenteil: ich hatte immer das Gefühl, bei jedem Schritt kleiner zu werden und am Ende war ich jedes Mal völlig niedergeschlagen und fertig. Nach einem dreiviertel Jahr gab ich es endlich auf unmotiviert im Wald rumzuhoppeln. Eine kluge Entscheidung, wie ich meine, denn sicher hätte ich irgendwann einmal wieder mit dem Rauchen angefangen und sei es nur zu dem Zweck, meine negativen Gefühle nach den Joggen zu kompensieren.

Irgendwie begegnete ich damals dem Tango. Sofort fühlte ich mich zu der schwermütigen Musik hingezogen und meine Hypophyse, die faule Schlampe, begann unmittelbar und ohne zu Murren mit ihrer Arbeit und produzierte Endorphine an der Zahl. Bis heute gelingt es mir, durch das Tangotanzen Momente zu spüren, in denen sich alles in mir und um mich herum im Einklang befindet und transparent wird. Ewigwährend fühlt sich das an, obwohl es bestimmt nur Sekunden sind, in denen ich alles vergesse und zu schweben beginne. Fünf Jahre mach ich das nun schon, drei davon mit dem Mann. Ein unbeschreibliches Gefühl ist das, wenn wir zwei auf der Tanzfläche zu einer Einheit verschmelzen und diese wundervolle Musik in Bewegung umsetzen. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich etwas wirklich richtig gut, ein für mich bisher nie gekanntes, tolles Gefühl. Ähnlich wohl fühle ich mich nur noch auf dem Fahrrad oder im Bett. Angenehmer Nebeneffekt: durch das permanente Körpermitte- und Achse spüren hat sich meine Haltung sehr verbessert und die Rückenschmerzen sind weg. Um dem noch etwas entgegen zu kommen, hab ich zu Beginn des Jahres angefangen, etwas Pilates zu machen (vhs), gemischt mit Elementen aus dem Hatha-Yoga. Die Tante macht das so gut, dass ich den Folgekurs im Herbst gleich gebucht habe. Durch das ständige "Powerhouse aktivieren" hat sich mein Bäuchlein hübsch gestrafft und auch sonst habe ich nicht den Eindruck, dass sich mein Körper sonderlich gegen diese Art von Gymnastik sträubt. Also bleib ich erstmal dabei und genieße die "Phase der schleichenden Gesundung durch sanfte und mäßige Spaßbewegung".
percanta (Gast) - 19. Aug, 22:01

Tango ist sehr zu empfehlen.
Und wenn ich Ihren Link oben richtig deute, kenne ich Ihren Tangolehrer, de vista. Kommen Sie denn auch manchmal zum TeaTime in die Stadt etwas weiter nördlich...?

Frau Rossi - 19. Aug, 22:24

Von da wo ich wohne aus betrachtet gibt es mehrere Städte "etwas weiter nördlich". Welche ist also gemeint? Suer ist groß, die "Szene" klein. So wundert es mich nur ein klein wenig, dass Sie ihn (zumindest vom Sehen) kennen :)
percanta (Gast) - 19. Aug, 23:37

"Suer ist groß, die Szene klein", schön gesagt :-)
Ich vermutete Sie in der Documenta-Stadt, zumindest tanzend.
Mit etwas weiter nördlicg meinte ich hier. (Links krieg ich nie in Kommentare gebastelt, mal sehen).
Mein Percanto hat Suer übrigens gerade in Buenos Aires getroffen, in der großen Peripherie der kleinen Szene :-P

Frau Rossi - 20. Aug, 09:02

Wir sind tatsächlich ab und an in Kassel. Demnächst wieder im September, am letzten Wochenende der documenta. Kunst und Tango sollen auf irgendeine Art verbunden werden. Wie, das wird sich Suer wohl noch überlegen. Wir haben das große Glück in einer Stadt zu leben, in der Suer Gastworkshops gibt, sonst hätten wir das Tanzen unter Umständen schon aufgehört, so unschön ist der Unterricht, den man bei uns bekommt!

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