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Dienstag, 13. November 2007

...

Um nicht jeden Abend der Versuchung zu erliegen, um neun schon mit meinem Buch ins Bett zu gehen (um am Ende noch eher als das Kind einzuschlafen!), gehe ich ab und an zu meiner Freundin ein Stockwerk höher. Die hat Kabelfernsehen und benutzt es auch. Durch den vielen Privatsenderkonsum ist sie schon recht abgehärtet und ihre Schmerzgrenze liegt deutlich über der meinigen. Aber gestern, bei "Bauer sucht Frau", wurde es auch ihr zu viel. Als nämlich der schwäbelnde Jungbauer Michael in der Mansarde mit seiner Fußpflegerin (Name vergessen, aber wahrscheinlich heißt sie Nadine) anzubandeln versuchte, verschwand sie auf ihrem Sofa unter der Decke und bat mich wimmernd, ihr Bescheid zu geben, wenn es vorbei ist. Für die Woche hab ich mich genug fremdgeschämt. Ich kann erst wieder nächsten Montag.

Samstag, 10. November 2007

petit pou

Gestern am Abend der Anruf: Läusealarm!

Damit hatte ich ja nun gar nicht mehr gerechnet, denn irgendwie habe ich "Läuse" in der Schublade mit der Aufschrift Kindergarten abgelegt. Nunja, gestern war es also zu spät, noch irgendein Mittel einzukaufen, aber dank Internet weiß der Lauslaie innerhalb von Minuten, was im Befallfall zu tun sey. Statt für die energieaufwändige 60° Waschmethode habe ich faule Sau mich für das Evakuieren entschieden. So also füllte ich 2 Plastiksäcke voll mit Kuscheltieren, Kopfbedeckungen, Handtüchern, Kissen, etc. und stellte sie unten in die Waschküche. Dort werden eventuell darin wohnende Läuse in den nächsten Tagen einen qualvollen Hungertod sterben. Irgendwie lässt mich das kalt.

Dann hab ich mir das Kind vorgeknöpft. Um die Kämmbereitschaft zu erhöhen, habe ich ihm vorher ein Foto von einer Laus in 100-facher Vergrößerung gezeigt. "IIIHHHH! DAS HAB ICH AUF DEM KOPF?"
"Naja, nun, vielleicht nicht ganz so groß..."
Das Bild verfehlte seine Wirkung nicht und die Affenmutter durfte mit dem Lausen beginnen. Gefunden habe ich allerdings nur neun Nissen, die ich in Ermangelung eines Nissenkamms mit den Fingern pflückte. Die knacken recht ordentlich, wenn man sie zerdrückt!

Heute dann ein Mittel aus der Apotheke geholt. Eine erfahrene Freundin riet mir zum einzig biologischen Mittel, was schlicht und ergreifend "Läuse-Shampoo" heißt. Ich liebe es wenn Dinge direkt beim Namen genannt werden. Da kann man dann in der Apotheke ganz laut rufen "Einmal Läuse-Shampoo, bitte!" und alle drehen sich um und fangen stante pede an, sich zu kratzen.

Unterdes ist der erste Wasch- bzw. Einwirkvorgang beendet. Mich selbst spare ich erstmal aus, erst wenn es wirklich juckt....

Mittwoch, 24. Oktober 2007

Wie sagt man richtig?

Weil es gerade bei mir zuhause rumlag (der Mann hat's vergessen) habe ich die letzten zwei Tage damit verbracht, einen "Männerroman" zu lesen, der angeblich monatelang auf der Spiegel Bestsellerliste ganz oben klebte. Was ich von dieser Liste halten muss, hatte ich vorher zwar geahnt, jetzt für mich verifiziert. Eine gute Referenz scheint sie jedenfalls genauso wenig wie die Aussage, dieser oder jener Film habe einen Oskar abgeräumt.

Zurück zum Buch. Bis Seite 12 habe ich mich bereits 4mal aufregen müssen, das ging dann so weiter. Jetzt mag man sich zu recht fragen, warum ich das Buch nicht einfach in die Ecke gepfeffert habe, aus der ich es gezogen habe. Das hat wohl was mit meinem Wesen zu tun, befürchte ich. Manchmal "geb ich's mir einfach", obwohl ich genau weiß, wie das enden wird. Zum Beispiel trinke ich, als ob ich es nicht schon längst besser wüsste, alle paar Monate ein Bier zuviel, sodass ich den ganzen nächsten Tag unter akutem Zinkmangel leide und in die Kloschüssel spreche. Außerdem echauffiere ich mich gerne und zwar am liebsten über die Sachen, die alle Anderen gut finden, was bei mir sowieso einen regelrechten Boykottzwang hervorruft. Beethovens "Für Elise" habe ich dereinst nie gelernt, weil sich ALLE Klavierschüler in meiner Klasse an diesem Stück vergingen. (Heute wäre ich allerdings froh, wenn ich wenigstens das fehlerfrei und auswendig daherspielen könnte).

Ich hab es also fertig gelesen, nur um mich darüber aufregen zu können. So bin ich halt. Aber warum erwähne ich das überhaupt, wo das Buch an sich so wenig erwähnenswert scheint wie ein achtlos in die Landschaft geschnippter Popel? In dieser hanebüchenen Geschichte nämlich nennt eine Frau ihren Freund immer "Mausbär". Das ist arg und soll mit all den anderen Partnerkosenamen, deren Ursprung eindeutig im Tierreich anzusiedeln ist, auf die Liste mit den 1000 verachtenswertesten Dingen gesetzt werden, die es im Leben gibt. An dieser Liste arbeite ich noch. Sie wird bis kurz vor meinem Tode geführt werden, denn sicherlich gibt es für mich noch bis zum letzten Atemzug irgendwas, über das ich mich aufregen kann. Der Schnitter braucht ja z.B. nur ein hässliches Hemd zu tragen. Aber zurück zum "Mausbär". Der hat mich nämlich drauf gebracht, dass ich tatsächlich nicht weiß, wie ich den Mann (also meinen mein ich jetzt) in zärtlicher Stimmung korrekt anreden soll. Sicher, er wäre behaart genug, um als Bär(chen) durchzugehen, aber weder bin ich Sodomistin noch von allen guten Geistern verlassen. Der Echtname funktioniert leider gar nicht, erst recht nicht in kosender Kohärenz. Dabei handelt es sich um einen der absolut häufigsten und solidesten aller deutschen männlichen Vornamen! Aber leider reimt er sich auf "würgen" und das geht da einfach nicht. Dieser Name ist nur in sachlichen Zusammenhängen korrekt verwendbar.

Umgekehrt scheint es sich übrigens ähnlich zu verhalten, denn meinen Echtnamen höre ich auch so gut wie nie aus seinem Mund. Dafür scheine ich zur "Frau" mutiert. Ich bin "die Frau" in allen Lebenslagen. "Frau du, wie siehts aus heut abend?" lese ich in der mail. "Frauuu, bist du gleich zuhauuuse?" schallt es mir aus dem Telefonhörer entgegen und "bist meine Frau" statt "Ich liebe dich" oder einfach nur "FRAUFRAUFRAU", als Ausdruck für etwas Unaussprechliches, Unerhörtes, Unabwendbares, je nachdem. Nicht, dass ich das ungern höre, aber letzthin legte sich mein Sohn mit einem angeklebten und selbstgemalten Kinnbärtchen neben mich ins Bett und meinte mit tiefergelegter Stimme: "NA, FRAU?"

Bisher empfand ich die Anrede als schön und vertraut. Aber seit der Einlage meines Sohnes bin ich ein bisschen unsicher geworden. Wie mag das wohl bei Außenstehenden so rüberkommen? Wird sich der Gebrauch von "Frau" als Anrede in jeder Lebenslage auf Dauer negativ auf die Beziehung auswirken? Wird sich das überhaupt auswirken? Oder denkt die Frau bloß wieder zuviel nach? Herrje?

Mittwoch, 10. Oktober 2007

Heimliche Handgriffe

Da sitzt man am Küchentisch bei einer Pizza Toscana, gegenüber der Sohn, der aufgrund der fädenziehenden Käsemassen isst wie ein Schwein, man überlegt gerade, ob man die Kraft für eine Rüge hat ("bitte, jetzt, ja?!") und schon springt er auf, ein eigentümliches, kümmerliches Würgen aus der Kehle, ein letzter Versuch, mit einem Schluck Wasser den zähen Käsebrocken da im Schlund abwärts zu bewegen schlägt fehl, voller Panik also wird sich würgend und bereits rotgesichtig an die Mutter gewandt, die selbst nur noch reflexartig zu reagieren in der Lage ist, den Sohn von hinten packt, ihn vornüberbeugt, mit dem Kopf nach unten, und mit der Faust gegen den Bauch drückt, warum, weiß sie selbst nicht so genau, vielleicht hat sie das ja irgendwann mal irgendwo gesehen. Erst über der Kloschüssel löst sich der ganze Batzen und das Kind signalisiert kauend, dass nun alles wieder in Ordnung sei, es wieder durchschnaufen könne.

Auf dem Weg zum Klo aber 1001 Szenarien im Kopf, was zu tun sei, wenn nicht geholfen werden kann. !Notarzt!, wo, wie, welche Nummer jetzt, dauert doch eh viel zu lange, eher doch die Feuerwehr oder lieber gleich auf die Straße und um Hilfe schreien, das blau angelaufene Kind hinterherziehend?

MERDE!

Danach vibrierend und schlagartig um 10 Jahre gealtert am Küchentisch sitzen und feststellen, dass die Pizza nun nicht mehr schmeckt, weder mir noch dem Kind. Später, das Kind ist schon fort zum Sport, bei Recherche im Netz auf den Heimlich Handgriff stoßen. Das nächste Mal zumindest theoretisch gewappnet sein.

Donnerstag, 27. September 2007

...

Im Supermarkt an der Kasse vor mir drei raue Burschen. Sie sehen osteuropäisch aus, von der Art sich zu kleiden angefangen über die breiten und flachen Hinterköpfe bis hin zu den Frisuren, die so recht keine sind. Zwei von ihnen tragen das eigentlich volle Haar auf gleichmäßige 6mm geschoren, der dritte, mit dem interessanten Gesicht, hat schulterlanges blondgestreiftes Haar, was ihm in fettigen Strähnen um den Kopf hängt. Kann auch sein, dass es einfach nur nass ist, denn draußen regnet es schon den ganzen Tag. Ein Blick auf die Hände der drei sagt mir, dass sie wohl hart arbeiten müssen, so schwielig und dunkel sind sie. Eine einfache Wäsche reicht da nicht. Solche Hände verlangen nach sandiger Paste und Terpentin. Im gleichen Moment stelle ich mir vor, wie sie sich wohl auf weicher Frauenhaut anfühlen mögen - wie Greifwerkzeuge, die ungelenk drängend mal hierhin und mal dorthin grabschen. Die Vorstellung ist wenig erfreulich, deshalb richte ich meinen Blick lieber auf die Ware, die vom Band in den Einkaufswagen wandert. Drei Fläschchen Spaßgetränk (Wodka mit Tropensaft gemischt - fürr Vitaminäh, värrschtehst!), drei 5er-Packungen Boonenkamp Magenbitter, ein Rotkohl, ein Pfund Mehl, Reis, Öl. In meinem Kopf versuche ich ein Rezept für diese Zutaten zu entwerfen, während einer der drei versucht, mit mir Blickkontakt aufzunehmen. Ein Kasseanstehflirt, flüchtig wie Benzindampf und überflüssig wie ein Kropf. Wie in einem Kaurismäkifilm sehe ich die drei abends in ihrem Wohncontainer sitzen, vor sich ein Kohlgericht, um sich Dämpfe aus Alkohol, Nikotin und scharfem Männerschweiß. Am Tag arbeiten sie hart für 4,50 Euren in der Stunde, in der Nacht kommt die Einsamkeit und das Heimweh, ganz für umsonst. Kein sehr angenehmes Leben, so oberflächlich betrachtet. Aber vielleicht ist ja auch alles ganz anders, denn was weiß ich schon vom Leben des Fremdarbeiters, alles nur Vermutungen, und die reichen nicht aus.

Mittwoch, 19. September 2007

Eine längere Geschichte über das Sterben

Im Juli des Jahres 2000 starb mein Vater. Meine Eltern sind seit meinem 5. Lebensjahr nicht mehr zusammen und so hatte ich selten Gelegenheit, ihn zu sehen. Mit 19 lernte ich ihn, der aus beruflichen Gründen immer im Ausland wohnte, dann näher kennen, als ich ihn für mehrere Monate in Birma besuchte. Unsere Annäherung aneinander verlief nicht unproblematisch und auch nachfolgende Besuche konnten unser Verhältnis nicht dauerhaft vertiefen. Er, der notorische Zyniker, blieb mir seltsam fremd und fern und ich ihm wahrscheinlich ebenso.

Ein paar Monate zuvor also erfuhr ich, dass er an Rachenkrebs erkrankt war. Krebs, der auf den Schleimhäuten entsteht, ist ein sehr aggressiver und schnell wuchernder, die Heilungschancen liegen bei unter 10 %. Damals arbeitete er in Bangkok, wo er sich auch behandeln ließ, und nach anfänglichen Erfolgen zeigte sich alsbald ein Rezidiv, vielleicht auch deshalb, weil mein Vater seinen Plan, sich mit täglich Alkohol und reichlich Zigaretten weiterhin zugrunde zu richten, nicht wirklich aufgeben wollte und konnte.

Er schrieb mir, dass er mit seiner 2. Frau, einer Birmanin, nun beabsichtige, nach Deutschland zurückzukehren und sich in seiner Geburtsstadt eine Wohnung zu nehmen. "Er kommt zum Sterben nach Hause" schoss es mir da sofort durch den Kopf. Eine Wiederbegegnung nach einem Jahr stand an. Man hatte mich gewarnt. "Your Papa looks not the same as you know him", sagte mir seine Frau in ihrem speziellen Englisch am Telefon, "he gave birth to his 15 years old baby!" Das bezog sich auf seinen unglaublichen, stets trommelartig geblähten Bierbauch, den er seit Jahren, alle Schwangeren verhöhnend, vor sich hertrug. Trotzdem erschrak ich mächtig. Der Krebs hatte ein dreiviertel Jahr an ihm gefressen und schien kaum noch etwas übrig gelassen zu haben. Er hatte über 30 Kilo abgenommen, bei einer Größe von 1,70 m. Er habe nun sein Kampfgewicht erreicht, meinte er in seiner lakonischen Art, als er merkte, wie ich ihn erschreckt musterte.

Der Umzug wurde organisiert, man wartete auf den Container aus Übersee. Die Wochen verstrichen, in denen ich so oft wie möglich die 50 km nach C. fuhr, meinen Sohn mitnehmend, damit er seinen Opa noch ein wenig kennenlernen konnte. Immer wieder musste er für ein paar Tage oder länger ins Krankenhaus, wo ihm entweder eine Magensonde gelegt wurde, weil die Schmerzen die Nahrungsaufnahme auf normalem Wege nicht mehr zuließen, oder er sich einer weiteren, sinnlosen Chemotherapie unterzog. War er zuhause, saß er "zum Essen" am Wohnzimmertisch, an der Lampe war der Beutel mit der Astronautennahrung aufgehängt, die über einen Schlauch direkt in seinen Bauch geleitet wurde, in seiner dürren, faltigen Hand die obligatorische Zigarette.

Das Sprechen fiel ihm schwer. Er konnte nur noch leise und unter enormen Schmerzen kurze Sätze von sich geben und meist verstand man ihn dann trotzdem nicht. Aber kaum einer wagte es, öfter als ein Mal nachzufragen, weil es einem selbst wehtat, wenn man sah, was für eine Anstrengung das Sprechen für ihn bedeutete. Er könne nun Essen und Rauchen zugleich, das war so ziemlich der letzte Scherz, den er auf seine Kosten machte, bzw. den ich verstehen konnte. Er hatte jetzt immer einen Schreibblock vor sich liegen, auf den er mit seiner schönen Handschrift die wichtigsten Sätze notierte. Um zumindest phasenweise eine gewisse Schmerzfreiheit zu erreichen, beklebte er seinen Körper mit Morphiumpflaster in Maximaldosierung, was ihn öfter mal in Dämmerzustände versetzte, in denen man ihn nicht mehr erreichen konnte.

Ich befand mich in einem seltsamen Zwiespalt. Einerseits war mir klar, dass die Zeit mit meinem Vater nun zu Ende ging, ohne dass wir uns jemals richtig nahegekommen wären. Dann nahm ich mir vor jedem Besuch vor, gewisse Dinge anzusprechen, die mir wichtig erschienen und über die ich noch Klarheit erlangen wollte, bevor alles vorbei sein sollte. Allein es fehlte mir jedesmal der Mut, diese Dinge anzusprechen. Irgendwie schienen sie auch nicht mehr so wichtig, in Anbetracht des fortschreitenden Verfalls meines Vaters. Alles in Allem aber war ich zu feige. Aber seinem Tod wollte ich mich stellen, das hatte ich mir vorgenommen. Er wäre der erste Mensch, den ich würde sterben sehen.

Kurz darauf musste er wieder ins Krankenhaus und es war klar, dass es der letzte Umzug sein würde. Wenn man das Krankenzimmer betrat, verschlug es einem jedesmal den Atem, derart beißend war der Geruch, der von ihm, dem am lebendigen Leibe Verfaulenden, ausging. Dort saß er anfänglich noch an seinem Tisch, vor sich aufgeschlagen sein Lieblingsbuch, in das er unablässig starrte, ohne je eine Zeile zu lesen. Ich saß ihm gegenüber, sah ihm beim Starren zu und bei seinen verzweifelten Versuchen, eine Seite umzublättern. Ab und an tauchte er aus seinen Dämmerzuständen auf und dann musste ich mit ihm auf den Balkon, ihm eine Zigarette anzünden, die er sich in mechanisch ausgeführten Bewegungen immer wieder an die Lippen hielt, zu schwach, um daran zu ziehen.

Zwei Tage später hatte er, der mittlerweile auf 43 kg abgemagert war, bereits keine Kraft mehr das Bett zu verlassen. So lag er da. In seiner Lunge hatte sich eine Menge Schleim gesammelt, der ihm von einer Schwester zwar regelmäßig abgesaugt wurde, ihn aber beim Atmen sehr behinderte. Jeder Atemzug erschien wie eine wahnwitzige Kraftanstrengung, die den ausgemergelten Körper auf und nieder hob. Allein dieses geräuschvolle, angestrengte Atmen meines Vaters zu ertragen, ging enorm an die Substanz.

Es war an einem Montag Mittag, ich war gerade wieder nach C. gefahren und saß bei meiner Tante (seiner einzigen Schwester, der "Lieblingsschwester", wie er in gesunden Tagen immer wieder betonte), trank noch einen Kaffee mit ihr, bevor wir zum Krankenhaus aufbrechen wollten, als sie einen Anruf von dort erhielt. Eine Schwester war am Apparat die sagte, wir sollten sofort kommen, es sei nun soweit. Ich sah in das erschreckte Gesicht meiner Tante und sah dort doch nur mein eigenes erschrecktes Gesicht, denn wenngleich das Sterben meines Vaters ein absehbares, sogar herbeigewünschtes war, so kam die Nachricht, dass es nun soweit sei, wie ein Schlag in den Nacken. Meine Tante und ich befanden uns in einem totalen Zustand der Angst. Weder sie noch ich hatten je zuvor Vergleichbares erlebt und wir wussten nicht, wie wir das überstehen würden.

Als wir ankamen waren um sein Bett schon einige Leute aus dem nahen Freundes- und Verwandtschaftskreis versammelt. Seine Frau stand am Kopfende des Bettes. In der einen Hand hielt sie ein Glas mit Wasser und ein kleines Heftchen, aus dem sie monoton Sätze ablas, die dort in birmanischer, brezelhaft anmutender Schrift gedruckt waren. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand befeuchtete sie dann und wann die trockenen Lippen meines Vaters. Sie bedeutete meiner Tante und mir, zu beiden Seiten des Sterbenden Platz zu nehmen und befahl uns beinahe, mit ihm zu reden, immer wieder verlangte sie das, und verlangte gerade das Schwerste, denn ich sah mich außerstande mehr zu meinem Vater zu sagen, als dass ich nun da sei, "Pipa, ich bin da, deine Tochter ist da!" Zu mehr langte es bei mir nicht und ich gab es bald auf, in meinem leeren Hirnkasten nach irgendwelchen Sätzen zu suchen, die mir dann doch nicht angemessen erscheinen würden.

Meine Tante sagte gar nichts. Stattdessen nahmen wir jeder eine Hand, die wir nun über Stunden hinweg nicht mehr loslassen sollten. Die Hand war merkwürdig heiß, so wie der ganze Vater bis hinab zu den Füßen eigenartig zu glühen schien, was ich eigentlich nicht erwartet hatte. Er hatte seine Augen geschlossen und schien, rein äußerlich, nichts wahrzunehmen, war völlig damit beschäftigt, in seine verschleimten Lungenflügel ein wenig Luft hineinzusaugen. Dieses saugend-ziehende Geräusch und das gleichmäßige Murmeln seiner Frau waren eine Zeit lang das einzig Hörbare im Raum. Es war wahnsinnig heiß, der Geruch kaum auszuhalten. Nach ungefähr einer Stunde fiel uns ein, dass meine Oma ja noch gar nichts vom akuten Zustand ihres Sohnes wusste und wir diskutierten kurz, ob wir sie, die eigentlich seit Monaten das Haus nicht mehr verlassen hatte, dazu holen sollten oder nicht. Ich setzte mich schließlich gegen meinen Onkel durch und meinte, dass es wohl der Wahnsinn sei, sie nicht zu holen, schließlich sei das ihr Sohn, auch noch der am meisten geliebte. Mein Onkel Jo zog nun ab, die Oma zu holen, wobei uns allen wirklich vor dem Moment graute, an dem die Mutter am Sterbebett ihres Sohnes eintreffen würde.

Es war aber in der Tat so, dass meine Oma, wenngleich weinend, von uns allen noch am ehesten in der Lage war, sich meinem Vater anzunähern. Immer wieder bedeckte sie sein Gesicht und seine Hände mit Küssen und ganz natürlich schienen ihr immer wieder Worte einzufallen, nach denen ich so verzweifelt gesucht hatte. Auch mein Vater schien durch ihre Nähe ruhiger geworden. Seine Atemfrequenz senkte sich und ich konnte spüren, wie die fieberheiße Hand kälter wurde.

Seit dem Eintreffen meiner Oma waren nun weitere Stunden vergangen, ohne dass sich der Zustand meines Vaters in irgendeiner Weise verändert hatte. Die Agonie hielt an und ab und zu betrat eine Schwester oder ein Pfleger das Zimmer, um einen kurzen Blick auf ihn zu werfen. Meine Oma war nun völlig entkräftet und sagte, sie wolle eine Pause machen, um auf dem Balkon eine zu rauchen. Diese vielleicht zehn Minuten dauernde Abwesenheit seiner Mutter nutzte mein Vater um zu sterben.

Mir war plötzlich aufgefallen, wie still es im Zimmer war. Das angestrengte Röcheln war einem völlig ruhigen und gleichmäßigen Atmen gewichen und das Gesicht meines Vaters, was er die ganze Zeit meiner, auf der anderen Seite des Bettes sitzenden Tante zugewandt hatte, sah zwar entspannter, dafür aber auch bläulich und eingefallen aus, Hände und Füße wurden zunehmend kälter. In dem Moment kam seine Frau von der Toilette zurück und ich sagte zu ihr, dass sich irgendwas verändert habe, irgendwas würde jetzt passieren. Sie meinte nur "I see, I see", wollte aber nicht mehr an das Bett ihres Mannes zurück. Sie, die vorher ununterbrochen an seiner Seite gestanden war, hatte nun nicht mehr die Kraft, diese letzten Minuten bei ihm zu bleiben und zog sich in eine Ecke des Zimmers zurück.

Die plötzliche Stille war unheimlich. Jeder starrte auf meinen Vater. Der Tod schien im Zimmer angekommen, Jeder im Raum konnte das Absolute, Unabwendbare seiner Gegenwart spüren. Plötzlich fühlte ich, wie das Leben aus meinem Vater regelrecht herausfloss. Ich konnte die von ihm weichende Lebensenergie spüren, wie sie von seiner in meine Hand überging und innerhalb von Sekunden mein Herz wie wahnsinnig schlagen ließ. Meine Tante erzählte mir später, dass sie exakt das gleiche gespürt hatte und dass auch ihr Herz rasend schlug. Dann bäumte sich mein Vater still zwei-, dreimal auf, das heißt, es war mehr ein nach vorne drücken seiner Schultern, als Zeichen eines minimalen Aufbegehrens. Nun passierte das, was mich bis heute am meisten wundert, denn aus meinem Mund kam genau in diesem Moment völlig selbstverständlich der Satz "Geh auf das Licht zu", den ich, mit deutlich hörbarer, eindringlicher Stimme, noch einmal wiederholte. Es war ziemlich schrecklich, denn ich wusste nicht, wo in mir dieser Satz vorher gewesen sein sollte. Nie hatte ich während des ganzen Sterbeprozesses an ein Licht oder etwas ähnliches gedacht, ich sprach einfach aus mir heraus, als wäre das der Satz, den ich am Ende eines langen Theaterstückes zu sagen hätte, der Schlusssatz, bevor der Vorhang fällt.

Freitag, 7. September 2007

Im Spaßlabyrinth

Jeder kennt sie, hat sie schon mal gesehen: die bunten Röhrenlabyrinthe, wie sie häufig vor amerikanischen Imbißketten zu finden sind, in deren Gänge sich Kinder nach erfolgtem Genuss ballaststoffarmer und kohlehydratreicher Kost noch ein wenig Bewegung verschaffen können, bevor sie wieder vor die Fernsehgeräte müssen.

Einmal war ich mit einem Freund noch nachts mit dem Auto unterwegs. Wir kamen von einem Konzert aus einer größeren Stadt, bei dem unter anderem eine Band spielte, die einen Song mit dem Titel 'Genforscher' spielte ("Wir sind Geeeenforscher, wir haben keine Freundin"). Meinem Mitreisenden knurrte ab Kilometer 20 der Magen und das große gelbe 'M', was neben der Autobahn weithin durch die Nacht strahlte, versprach Linderung.

Ich hatte wohl schon ein paar Bier getrunken, jedenfalls hatte ich keinen Hunger, ging nur auf's Klo, während sich mein Freund in die lange Schlange vor dem Tresen reihte. Nachher ging ich nach draußen, weil der Frittengeruch empfindlich auf meiner Seele lastete. In Wirklichkeit ist es auch nicht so sehr der Geschmack dieser Speisen, der mich abstößt, sondern der fettwolkige Olfaktor, der diese Restaurants stets und immer umwabert.

Unschlüssig stand ich dann herum, sehr aufgekratzt und zu allerlei Schabernack bereit, wie das halt so ist, nach 2-6 Bier. Dann sah ich die Röhren. Jawohl, so würde ich mir, meiner Laune entsprechend, die Zeit vertreiben, bis mein Freund wieder zurückgekommen wäre. Ich weiß noch, dass ich "ich bin Geeenforscher, und keiner hat mich liehieb..." sang, als ich die Plastikstellage erklomm und das Röhrensystem enterte. Auf allen Vieren bewegte ich mich nun voran. Doch die Röhren schienen von innen plötzlich viel enger als vermutet, denn das Ganze ist ja eigentlich auch für Kinder gedacht und nicht für besoffene, euphorische Weiber. Munter dennoch kroch ich fürbass. Da - links ein Abzweig! Erstmal ignorieren und weiter. Ein Plexiglasfenster zu meiner Rechten, die Scheiben sind verkratzt und ich kann kaum sehen, was draußen so vor sich geht, schließlich ist es auch dunkel und die Parkplatzbeleuchtung erhellt das Innere des Labyrinths nur spärlich.

Nach einer Kurve noch ein Abzweig, es geht leicht nach oben. Wäre ich doch abgebogen, denn plötzlich endet die Röhre gleich einem Blinddarm. Ich muss zurück, denke ich, aber es ist unmöglich mich umzudrehen, ich bin schlicht zu fett. So krieche ich rückwärts und wenn ich ehrlich bin, ist alles auch gar nicht so lustig, wie ursprünglich gedacht. Das Genick schmerzt von der unnatürlichen Haltung und in der Röhre muffelt es unbestimmt nach Plastik und noch irgendwas. Um nicht den ganzen Weg rückwärts kriechen zu müssen, nehme ich den Abzweig nach oben. Dort angekommen sehe ich kaum noch durch die Dunkelheit, nur am anderen Ende schimmert gelbliches Laternenlicht.

Plötzlich weiß ich ganz genau, dass ich da nie wieder herauskommen werde. Ein zartes Panikpflänzchen keimt in meiner Brust und schickt in Windeseile seine Schlingen durch meine Adern. Raus, nur noch Raus, alles so eng hier! Dann schlage ich mir noch zu allem Überfluß den Kopf an, ich bin ein einziger Fluchtreflex und so verlassen von Allem wie lange nicht mehr. Bloß nicht rückwärts, voran, voran, treibt es mich. Komplett kopflos wie ich bin winde ich mich durch das Geflecht. Meine Orientierung ist schon lange flöten, die gute Laune auch. Ein Fenster links, durch das ich verschwommen den Eingang des Restaurants sehe, hilft mir auch nicht weiter. Dann wieder eine Abbiegemöglichkeit aus der mir kühlere Luft entgegen weht. Hier muss eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen sein, nichts wie durch. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine leicht gewundene Rutsche handelt, die nach unten führt. Bäuchlings schlittere ich runter, ein Plastikvorhang versperrt den Ausgang, den schubse ich beiseite, bevor ich im Sand lande.

Vertrauter Fettgeruch, nie schien er mir begehrenswerter. Ich stehe auf, ordne mit zitternden Händen meine Kleider, alles an mir vibriert. In dem Moment tritt mein Freund aus der Tür, mit einer Tüte und einem Becher kommt er auf mich zugelaufen und fragt mich, ob ich schon pinkeln gewesen sei. Als wir dann im Auto sitzen und ich ihm die Niederlage schildere, sieht er mich fassungslos an und meint, er hätte immer gedacht, dass ich unter Klaustrophobie leide, warum ich denn da rein sei. So genau konnte ich ihm die Frage leider auch nicht beantworten. "Wohl vom Wahnsinn umjubelt" meinte ich bloß.

Freitag, 10. August 2007

...

Gleich müsste das Kind gebracht werden, was ich seit Ferienbeginn, bis auf eine kurze Ausnahme, nicht mehr gesehen habe. Kaum ist die Schule aus, zack, raus auf's Land und rauf auf den Traktor. Wohl ist er in seinem Umfeld der einzige 10jährige, der schon Traktor fahren kann. Das kann er später dann als "soft skill" angeben, falls es mal zu einer Bewerbung kommen sollte.
Urlaubsgrüße...

Jedesmal, wenn ich ihn länger nicht sehe, ist er bei Rückkehr ein kleines Stück gewachsen. 'Also doch', denke ich. Die Sache der "Schüsse" ist die seine nicht. Sein Wachstum geht eher kontinentaldriftartig von statten, nie über Nacht. Scheinbare, monatelange Stagnation, aber plötzlich ist das Hosenbein doch zu kurz. Ein Hosenbein passt, bei geschicktem Einkauf, mindestens drei Jahre, aber leider zwingt einen jedesmal die mindere Qualität der Stoffe, vor allem an den Knien, lange vor dem Herauswachsen zu einer Neuanschaffung.

Bald ist der 11. Geburtstag. Gott sei dank ist er mitlerweile so alt, dass man auf den ganzen Kindergeburtstagskram verzichten kann. Ich gehöre nicht zu der Sorte Mutter, die gut gelaunt eine Horde 5jähriger Jungs bespaßt und mit Popcorn schmeißt. Ich gestehe, dass ich es gerne beim "Kuchenpacken" und "Geschenkeeinbacken" (fränk.) belasse. Zwei der schönsten Geburtstage waren die, an denen die nette Freundin des Kindsvaters, selbst kinderlos, alles in die Hand nahm und Burgen aus Karton baute und Ritterkostüme bastelte. Das Jahr drauf rief sie das Motto "Heyho, ihr Strandpiraten" aus, baute Schiffe aus Holz und Segeln, um sie dann im nahen Bach zu Wasser zu lassen. Leider endete das in einem Drama, weil einige der Schiffe nicht so schwammen wie gedacht, sogar von schweren Havarien war die Rede. Die Stimmung soll zum Schluss sehr schlecht gewesen sein. Auf das Ausrichten eines weiteren Geburtstages hat sie seither leider verzichtet. Aber immerhin blieben mir so, in der "anstrengenden" Phase von 3 - 9 Jahren,
2 von 7 Geburtstagen erspart. Die Formel für einen -nach meinen Begriffen- gelungenen Kindergeburtstag lautet mitlerweile so: pro Kind 2 Erwachsene und daher 6 Flaschen Bier. Bei einem Kasten mit 24 Flaschen kommt man somit auf 8 Erwachsene und 4 Kinder. Das ist Mathematik, die Spaß macht!

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